Bar am Steinplatz - Interview mit Barchef Willi Bittorf
“Hätte mir vor ein paar Jahren jemand gesagt, dass meine erste eigene Karte komplett alkoholfrei ist, hätte ich ihm den Vogel gezeigt”. Stattdessen zeigt Willi lieber die alkoholfreie Karte, oder sagen wir eher die kleinen Kunstwerke, die auf die Tische der Bar am Steinplatz gemalt sind. Die Raffinesse seiner alkoholfreien Drinks, die Detailverliebtheit und die abgefahrenen Namen seiner Kreationen hauen uns beinahe vom (Bar)Hocker.
Wir sind zu Gast bei Willi Bittorf in der Bar am Steinplatz. Deutschlands erste Hotelbar mit alkoholfreier Signature-Karte, auf der sich Drinks wie Let’s talk about Sekt, Baby und A winning Horse named Julip finden.
Doch dazu später mehr. Wenn du Hotelbar hörst, denkst du vielleicht an ausufernde Ledersessel, einen Pianospieler, Krawatten und eher einfallslose Spirits auf Eis? Bis auf die schicken Ledersessel, trifft hier nichts zu. In der Bar am Steinplatz, ums Eck des lebhaften Savignyplatz in Berlins Westen, kannst du mit deinen Sneakern Platz nehmen. Im Team rund um Barchef Willi steht der Spaß an guten Drinks und die lässige, freundschaftliche Atmosphäre im Vordergrund. Gehoben und auf Top-Niveau, und dabei weit entfernt von steif und unnahbar. Gelauncht im Sommer 2020, war die neue Barkarte gerade einmal vier Monate am Start.
“Wir geben Leuten, die keinen Alkohol trinken können oder möchten die Möglichkeit, ein geiles Erlebnis zu haben - das ist was zählt.”
Mit geilen Erlebnissen kennt sich Willi aus. Er ist 32 und hat nach einer klassischen Restaurant-Lehre, Geschmack an der Barwelt “mit den coolen Typen hinter’m Tresen” gefunden. Die Welt der Spirituosen hat er im Shangri-La in London, im Regent Berlin und Waldorf Astoria erkundet. Nun ist er der neue Barchef des Hotel am Steinplatz und verantwortlich für die disruptive, aufsehenerregende Karte.
Für ihn war klar, dass er etwas ganz besonderes machen will. Ein starkes Konzept für eine renommierten Bar, die mehrfach als »Hotelbar des Jahres« und mit dem Bar Award von Mixology ausgezeichnet ist. Er hat Deutschlands erste Hotelbar mit alkoholfreier Signature-Karte, die noch vor einem Jahr zehn klare Drinks schmückten, die alle gleich aussahen. Willi verrät uns, wie viel Tüftelei notwendig ist, um Kreationen zu zaubern, die mit Raffinesse und Tiefe als spannende Alternativen für klassische Drinks überzeugen.
Wie entstehen Alkoholfreie Drinks bei dir?
“Die Herangehensweise ist genau wie bei alkoholischen Cocktails. Man hat etwas im Kopf, das man schon mal getrunken hat, kennt ein tolles Produkt, das man einsetzen möchte oder es gibt eine Speise zu der etwas passen muss. Ein Beispiel: Es gibt eine total leckere Salted-Grapefruit-Limo. Dabei denke ich direkt an umami, getrocknetes Seegras, Kokossirup und Limettenwasser. Das Destillat darf dabei nicht zu kräftig sein. Ein Wermuth unterstützt den Umami-Charakter. Wenn alles geshaked wird, erhält man ein salzig, dezentes Ergebnis mit der Herzhaftigkeit von Seegras. Ein stimmiges süß-saures Zusammenspiel.
Am Ende ist es viel Basteln, viel Probieren und viel Zusammenkippen. Auch viel wegkippen. Ich musste meinen Kollegen öfter auf die Nerven gehen um zu kosten. Das lustige an alkoholfreien Drinks ist, dass das Personal auch hinterm Tresen stehen und trinken kann.”
“Das ist alles Neuland.”
Was hast du beim Arbeiten mit den alkoholfreien Drinks gelernt?
“Es gibt viele Marken und Produkte, die ich nicht verstehe und nicht mag und damit zu arbeiten war schon eine Herausforderung. Das ist alles Neuland gewesen. Es war alles ein Prozess und hat gedauert. Ganz oft hatten wir Drinks, die gepasst haben und irgendwie “OK” waren, aber am Ende nicht mehr als eine bessere Limo waren. Es fehlte einfach die Komplexität und das Interessante, damit ich mir dafür Zeit nehme wie bei einem richtigen Drink und es nicht einfach wegtrinke. Und das hat zu Beginn schon für sehr viel Frustration gesorgt. Mein größtes Learning: Alkohol ist Geschmacksträger. Eine schwere und breite Note reinzubekommen ist das Schwierigste. Durch Essenzen, Kombucha oder Essig haben wir das aber sehr gut hinbekommen.”
Was hat dich am meisten überrascht?
“Meine Bedenken, dass die Karte zu eintönig wird, wurden nicht bestätigt. Insgesamt war ich total positiv überrascht, weil ich nicht gedacht habe, dass so viel möglich ist mit der Textur und dem Geschmack. Die Grundbausteine sind dieselben wie bei alkoholischen Drinks, die Eigenschaften und Charakteristiken können sich aber total verändern. Ich bin mir sicher, dass das mixologisches Niveau mit der Verbreitung von alkoholfreien Destillaten weiter zunehmen wird.”
Wie wird das Konzept angenommen?
“Am Anfang gab es viel Gegenwind und Skepsis, auch von den Kollegen. Deshalb habe ich einen Haufen Arbeit und Mühe reingesteckt, um die Kritik im Keim zu ersticken. Rückblickend war sehr viel Druck da, alle zu überzeugen und deren Vorurteile nicht zu bestätigen. Es ist die erste Barkarte die ich alleine herausgebracht habe. Für mich ist sie am Ende ein Erfolg, wenn ich als Resonanz positives Feedback bekomme. Bei meinen Kollegen gab es viel Enthusiasmus. Ich habe noch das überraschte Gesicht meiner Kollegen im Kopf, als sie das erste mal den Garden 108 Smash probiert haben und der Kommentar “Diese intensive Note von Ingwer sei so richtig in your face.
“Wir möchten nicht exklusiv sein. Unsere Idee ist es, alle an einen Tisch zu holen.”
Es gibt Kritiker, die das Konzept nicht verstehen. Das musste ich lernen. Es gilt den Gästetyp zu erkennen und darauf einzugehen. Zum Beispiel, wenn jemand einen klassischen Absacker will. Geschäftsleute, die unter der Woche ein Bierchen und Negroni wollen. Das bekommen sie bei uns eben auch. Zweigleisig zu sein ist dabei eine Herausforderung: Top alkoholhaltig behalten und alkoholfrei ausbauen.”
Wie begegnest du Alkoholfrei-Kritikern?
“Das wichtigste ist die Kommunikation und das Wording: „Wenn sie Interesse haben und alkoholfrei bleiben möchten, empfehlen wir Ihnen…“. Am Ende überzeugt der Geschmack. Für alle anderen gibt es auf der Rückseite der Karte auch Alkohol. Wir möchten nicht exklusiv sein. Unsere Idee ist es, alle an einen Tisch zu holen. Jeder kann das trinken was er will. Es ist ein bisschen wie früher mit vegetarischem Essen. Wenn man in dem Wirtshaus in dem ich gelernt habe erzählt, es gibt irgendwann rein vegetarische Restaurants, hätte das niemand geglaubt.”
Was sind deine Lieblingsdrinks?
“Ich mag den Ramos 0,5% mit seiner leicht cremigen Textur, der sehr erfrischend ist. Wir nutzen Ayran und alkoholfreies IPA, das dem Drink das hopfige verleiht. Zudem Zitrusaromen, ein bisschen Sahne und Aquafaba, kein Eiweiß. Den muss man viel shaken, deshalb dauert er eine Weile.
“Let’s talk about Sekt, Baby”
Auch toll, ein frischer Aperitif mit genügend Säure und damit eine super Alternative zu Champagnercocktails. Man hat richtig Bock danach was zu essen. Für den Show-Effekt nutzen wir einen Flavour Blaster um das Sektglas zu aromatisieren. Der Qualm bleibt im Sektglas stehen und der Gast kann das Aroma voll aufnehmen. Ein totaler Eyecatcher. A winning Horse named Julip basiert auf Rosenwasser, das selbst angesetzt wird und einem alkoholfreien Bitter. Er ist fruchtig, herb, säuerlich. Die schönste Anekdote gibt es zum Drink Who is Frank “Palini” Baum. Frank Palini Baum war der bekannteste Gitarrist im deutschsprachigen Raum für Hawaiianische Tikki Musik. Wir haben uns gefragt, ob Tikki auch alkoholfrei geht und ihn mit Schwarzkirsche, Sanddorn und Karotte neu gedacht. Ein fruchtig, erdiger Drink und die Story ein absoluter Eisbrecher für Gespräche.”
Welche Tipps hast du für das Selbermixen in der Homebar?
“Für zuhause finde ich einfache und leckere Drinks sinnvoll. Beim Mixen gibt es ein paar Kleinigkeiten mit denen man viel Bewegen kann. Eine Prise Salz hebt das Aroma hervor und unterstützt, genau wie beim Kochen. Das Zusammenspiel von Süße, Salz und Säure ist der Grund, wieso Drinks breit, tief und sehr spannend werden. So simpel es klingt: Das wichtigste ist das Eis. Wenn die Eiswürfel zu klein sind, verwässert das Eis. Es ist bei uns der Schlüssel für die Cocktailkarte. Wären die nicht 3,2 cm, verwässert der Drink und der Geschmack nicht so lange da. Daheim gilt es darauf zu achten, nicht die kaputten, übrig gebliebenen, sondern die ganzen Eiswürfel zu nutzen. Ich mache Eiswürfel gerne selber mit einer Muffinform. Auch gut: die Tiefkühltruhe runter drehen, damit die Eiswürfel richtig kalt sind. Am Ende ist es vielleicht aber auch langweilig wenn die Leute alles so easy zu hause nachmachen können, dann braucht man uns ja nicht mehr.”
Hat sich deine Beziehung zu Alkohol nach der Fokussierung auf alkoholfrei verändert?
“Ich habe schon bevor wir die Karte gestaltet haben entspannt auf das knallharte Trinken verzichtet. Negroni und Old Fashioned sind schön, aber ich war noch nie jemand der viel harten Stoff getrunken hat. Ich trinke ansonsten auch relativ wenig Alkohol privat. Eher in Gesellschaft. Und der letzte Spieleabend mit Freunden ist leider auch schon zu lange her. Mein Lieblingsdrink für zuhause ist Tee. Für mich eines der spannendsten Getränk der Welt, weil er so vielfältig im Geschmack ist. Rauchig bis kräftig, süß bis blumig. Trotzdem genieße ich noch mein Feierabend Bier und andere Getränke wie vorher auch.”
Noch ein kleines Schlussfazit?
“Das Schöne ist, dass wir hier eine Möglichkeit für alles haben. Es hat sich so ergeben, dass wir tolle alkoholfreie Drinks kreieren können. Das ist es unterm Strich.”
Durstig geworden?
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Fotos: Bar am Steinplatz
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